Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre bewies Nerven wie Drahtseile

(Eugene/Krefeld, 23. Juli 2022)  Und der vorgezogene Sommer-Schlussverkauf der deutschen Leichtathletik-Elite bei den Weltmeisterschaften in Oregon/USA geht ziemlich ungebremst weiter. Dies gleich zum Auftakt des achten Wettkampftages. Ohne über den zuletzt Formschwankungen unterlegenen, nachnominierten Stabhochspringer Torben Blech den Stab brechen zu wollen – aber was der Wahl-Leverkusener aus dem Siegerland (leider nur geografisch) ablieferte, war schlechterdings der Super-GAU (Größte angenommene Unfall). Der DM-Dritte mit einer Saisonbestleistung (SBL) von 5,70m scheiterte in der heutigen Qualifikation dreimal recht kläglich an der vorgegebenen und von ihm auch gewählten Anfangshöhe von 5,30m.
Eine Zitterpartie bot der bei sehr günstigem Verlauf als ganz leise Bronze-Hoffnung gehandelte Bo Kanda Lita Baehre. Der 23-Jährige benötigte drei Anläufe für die „Quali“-Höhe. Dort bewies er allerdings Nerven wie Drahtseile und „baute ein Haus“, wie es im Springer-Jargon heißt, über 5,75m. Den befand er selber als technisch noch nicht einmal so gut. Da scheint also für die Kür der besten Zwölf noch Luft nach oben. Das lässt sich auch für Oleg Zernikel konstatieren, der mit einer souveränen, blitzsauberen Vorstellung alle drei Höhen von 5,50, 5,65 und 5,75m (SBL) im ersten Versuch überquerte. Chapeau!  

Christine Hering mit deutschem Wahlspruch „ich bin froh, dabei gewesen zu sein“

Aus diesem Holz waren leider in der „Stunde der Wahrheit“ einmal mehr zu wenige DLV-Günstlinge geschnitzt. Wenngleich keine ernsthafte Endlauf-Kandidatin, lief Mittelstrecklerin Christine Hering als Letzte ihres 800-m-Triplefinales der Musik in 2:01,57 Minuten hinterher. Bei der Kurz-Replik am ARD-Mikrofon war von ihr dann der deutsche Gassenhauer „ich bin froh, dabei gewesen zu sein“ zu vernehmen. Landsfrau Majtie Kolberg machte es als Sechste ihres Rennens etwas schneller (2:01,36). Sei angefügt, dass für die 22-Jährige das Überstehen des Vorlaufes bereits ein Erfolgserlebnis war. Für zwei Rennen innerhalb von 25 Stunden fehlt ihr einfach noch die Tempohärte und das Ausdauervermögen.

Speerwurf-Nachrückerin Annika Marie Fuchs haderte als Zwölfte freimütig mit sich

Lehrgeld auf noch etwas höherem Niveau musste auch die auf der letzten Rille nachrückende Speerwerferin Annika Marie Fuchs zahlen, die mit 59,36m nicht wie selbstverständlich die Qualifikation überstand. Aber den Schnitt der besten Acht (59,98m) schaffte sie im Finale nicht, belegte als Zwölfte mit 56,46m den Platz, der ihr schon vorher mit einem gültigen Versuch sicher war. Wohl auch deshalb erklärte die DM-Zweite erfrischend ehrlich und freimütig, enttäuscht zu sein, ihr Potenzial (SBL 61,06m) nicht abgerufen zu haben. Endlich mal nicht die abgenudelte Platte „ich habe mein Bestes gegeben“. Was die Mindestanforderung sein sollte, jedoch allzu oft eben nicht gut genug war (Ergebnisliste).

Sprint-Staffeln: Männer mit zwei versiebten Wechseln raus...

Dieses Klagelied können auch die deutschen Sprinter im vierstimmigen Chor anstimmen. Als Solisten sind sie international allenfalls zweitklassig. Aber im Quartett wurde als Minimalziel die Finalteilnahme ausgerufen. Dazu gab der unlängst aufgestellte deutsche Rekord über 4x100m in 37,99 Sekunden durchaus berechtigten Anlass. Allerdings ist es nun mal ein riesiger Unterschied, solche ein Zeit in der Provinz von Regenburg zu laufen oder mit reichlich hochkarätiger internationaler Konkurrenz links und rechts neben sich bei einer WM. Und so reichte es in identischer Besetzung (Kranz, Hartmann, Ansah, Ansah-Peprah) nach zwei versiebten Wechseln als Vorlauf-Vierte in 38,83 lediglich in Summe zum elften Rang von 13 in die Wertung gelangten Staffeln. Genau genommen müßig zu erwähnen, da Konjunktiv, dass jene 37,99 die zweitschnellste Zeit hinter den USA gewesen wäre (Ergebnisliste).

Frauen schrammten haarscharf an einer Disqualifikation vorbei

Einen Ritt auf der Rasierklinge hatte das weibliche Pendant mit Tatjana Pinto, Alexandra Burghardt, Gina Lückenkemper und Rebekka Haase zu überstehen, schrammte haarscharf an einer Disqualifikation vorbei. Auf der dritten Position laufend verließ Lückenkemper (im Bild in Ruhestellung) erst nach hauchzart erfolgter Stabübergabe Bahn drei mit dem Fuß nach innen. Daran kann es jedoch nicht gelegen haben, dass Haase, zunächst mit in Führung liegend, bei ihrem Schlusspart in „fliegenden“ 10,40  noch von der Britin Neita (9,94) und der zunächst zurückliegenden Nelson (10,11) mit der zweiten Garnitur von Jamaika als Vorlauf-Dritte in 42,44 sec.überrannt wurde. Die „Häsin“ muss sich schon gewaltig steigern, wenn der sehr kühne Traum von Bronze in einem europäischen Duell mit Großbritannien hinter Jamaika und den USA in einem Rennen aus dem Staffel-Bilderbuch wahr werden soll. Zumal die sich fast verzockenden Schweizerinnen mit der Schonung ihrer Rekordhalterin (10,89 sec.) und Finalistin auf beiden Sprintstrecken, Mujinga Kambundji, noch auf die erweiterte Medaillen-Rechnung gehören (Ergebnisliste).

Titelverteidiger/in Maleika Mihambo und Andreas Kaul greifen ins Geschehen ein

Aber jetzt, wo die WM fast zu Ende ist, geht sie ja laut DLV-Frontfrau Annett Stein mit den Titelverteidigern Maleika Mihambo (Qualifikation im Weitsprung) und Andres Kaul (1. Tag im Zehnkampf) erst so richtig los. Ab 18:45 Uhr im Internet-Livestream des ZDF. Dann morgen ab 01:10 Uhr in der Nacht via Fernsehen im Zweiten, mit dem wir alle ja angeblich besser sehen, indes meist ordentlich auf die fachlich geschulten Ohren bekommen. Mit von der Partie in der örtlichen
Evening Session" Medaillenhoffnung Julian Weber im Speerwurf.